EcoOnline Logo Helge Schalk: Rezension zu

Umberto Eco: Vier moralische Schriften. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. München, Wien: Hanser 1997 (Cinque scritti morali. Milano 1997). 119 Seiten. DM 24,00.

Zuerst erschienen in: Journal Phänomenologie 9 (1998).

Im letzten Jahr war es, als Eco, der nicht dafür bekannt ist, Kontroversen aus dem Wege zu gehen, unter italienischen Intellektuellen wahre Empörungsstürme hervorrief, indem er verlautbaren ließ, Intellektuelle, zumal Schriftsteller und Philosophen, hätten sich in Verfolgung ihrer Angelegenheiten – und d. h. beim Versuch, ihren Ruhm und ihre Karriere zu befördern – nicht um das Tagesgeschehen zu bekümmern. Der schnöde Alltag, die Welt des Politischen oder Sozialen und das Engagement des Schriftstellers in dieser begründe schließlich keinen Weltruhm. Weltruhm entstehe aus dem Unzeitgemäßen, dem Überzeitlichen: Dies sei das Terrain der Literatur. Nun sollte man die Aussagen eines Theoretikers, der seine Semiotik liebevoll als "Theorie der Lüge" deklariert, stets mit der gebotenen Vorsicht genießen. Eco, der Intellektuelle, der Beobachter der Massenmedien, der Analyst moderner Lebensformen, kein Verfechter sozialen Engagements?

 
Man kann lediglich vermuten, ob Eco sich – gemäß dem innerhalb seiner Genealogie des abendländischen Irrationalismus beschriebenen Prinzip der coincidentia oppositorum – mit dem fertigen Manuskript in der Tasche lediglich einen boshaften Scherz erlauben wollte oder ob er die Rezeptionsbedingungen seiner Bücher, die Kontroversen, zu denen sie bisweilen Stellung nehmen, von nun an erst zu schaffen gedenkt, bevor er sein nächstes Buch auf den so bereiteten Nährboden fallenläßt. Jedenfalls sind die Moralischen Schriften nun auch in deutscher Sprache erschienen, und hierzulande mag man ebenfalls gespannt sein auf einen Eco, wie wir ihn vielleicht noch nicht kennengelernt haben.

 
Leserinnen und Leser dürfen keine ausgebreiteten moralischen Reflexionen erwarten und schon gar keine systematische Ethik. Viel eher handelt es sich um kleine Gelegenheitsschriften, die essayistisch vier Themen umkreisen und diese gelegentlich auch im Kern berühren: Krieg, Faschismus, die Verbindlichkeit ethischer Normen und die Probleme der Migration. Hervorzuheben sei hier besonders der dritte Themenkomplex, der einen Ausschnitt aus einem Briefwechsel Ecos mit dem italienischen Kardinal Martini präsentiert (Wenn der andere ins Spiel kommt, S. 71-88); hervorzuheben deshalb, weil Eco hier die Präsenz und den Anspruch des anderen als eine 'semantischen Universalien' äquivalente Verbindlichkeit des Handelns bestimmt. Universal wird der Anspruch des anderen, wie Eco geradezu genuin phänomenologisch argumentiert, dadurch, daß die eingestandene Notwendigkeit körperlicher Bewegungsfreiheit und Unversehrtheit von jedem für verbindlich erachtet werde. Nicht geistig-abstrakte Kategorien seien universalienwürdig, sondern jene profanen, selbstverständlichen und von der Philosophie nur allzu oft ausgeklammerten körperlichen Daseinsbedingungen, aus denen sich ein allgemeiner ethischer Anspruch herleiten ließe.

   

 
Fazit: Eco light, weniger systematisch, dafür aber garantiert alltagstauglich, aktuell und intellektuell engagiert. Lesen! Sofort!